In unserem heutigen Blogbeitrag sind wir auf den Spuren des Architekten Rudolf Ladewig in Reichenbach / Sachsen unterwegs. Unser Ausflug führt uns zu beeindruckenden Bauwerken, die er im Stil der Neuen Sachlichkeit und der Bauhaus-Architektur in der kleinen Stadt im Vogtland geschaffen hat.
Inhaltsverzeichnis
Wer war Rudolf Ladewig?
Rudolf Ladewig wurde am 30. April 1893 in Brodersdorf bei Rostock geboren. Im November 1925 ging er nach Reichenbach, um hier als erster Stadtarchitekt tätig zu sein. Danach arbeitete er 1926 bis 1928 in Reichenbach als freier Architekt und von 1928 bis 1931 war er in der Abteilung „Entwurf und Bauleitung“ wieder für die Stadt tätig.
Wegen der jüdischen Abstammung seiner Frau konnte er nach der Machtübernahme der Nazis nicht mehr ungehindert in Deutschland arbeiten. Deshalb ging er 1934 nach Sofia, kehrte aber schon nach weniger als einem Jahr nach Deutschland zurück und zog nach Hamburg. Hier war er unter anderem für Fritz Höger tätig.
Er schloss sich der Widerstandsgruppe „Kampf dem Faschismus“ an und wurde 1945 von einem Spitzel denunziert. Ladewig wurde mit seiner Freundin und zwei seiner Kinder ins KZ Neuengamme deportiert. Die Familie wurde dort zwei Wochen vor Kriegsende zwischen dem 21. und 24. April 1945 ermordet.
Das architektonische Vermächtnis Ladewigs in Reichenbach
Stilistisch sind die Bauten von Ladewig den klaren Formen des Bauhauses und der Neuen Sachlichkeit des Deutschen Werkbundes unterworfen. Diese bilden mit ihren klaren Formen und Strukturen einen Gegenentwurf zu den verspielten Bauten des Jugendstils.
Funktionsgerechtes Bauen und der Einsatz moderner Materialien, wie Stahlguss oder auch vorgefertigte Elementen, standen hierbei im Vordergrund.
Ladewig verbindet diesen klaren Stil zusätzlich mit expressionistischen Elementen – wie z.B. bei der Putzgestaltung des Krematoriums oder den Dreickspfeilern an der Höheren Textilfachschule.
Der Wasserturm – ein weit sichtbares Wahrzeichen der Stadt Reichenbach im Vogtland
Die Einzelbauten von Rudolf Ladewig in Reichenbach sind ganz besondere markante Solitäre der Stadt. Schon weithin sichtbar findet man in der Nähe der Sternsiedlung den Wasserturm.
Er wurde 1926 im Stil des Funktionalismus errichtet und ist heute eines der Wahrzeichen der Stadt. Der 28m hohe Turm prägt mit seiner einzigartigen Architektur die Landschaft.
Der Wasserturm ist als sachlicher Kubus erbaut, der durch die horizontalen Simse eine außergewöhnliche Dynamik erhält.
Schmückendes Element des Baus ist zudem eine vom Leipziger Bildhauer Johannes Göldel geschaffene Skulptur. Sie zeigt ein Mädchen, dass Wasser aus einer Schale trinkt.
Göldel, der auch die Figuren am Leipziger Petershof schuf, arbeitete mit Ladewig bei jedem seiner Einzelbauten zusammen.
Der Wasserturm wird mit dem Wasser der Muldenberg-Talsperre gespeist und löste so das Trinkwasserproblem der schnell wachsenden Stadt.
Umsäumt ist der Turm von einer Grünanlage mit Wasserbecken und Pergolen, ebenso lädt ein Restaurant zum Verweilen ein. Der Wasserturm verfügt außerdem über eine Aussichtsplattform – allerdings muss man sich zum Aufstieg im Tourismusbüro telefonisch anmelden. Die Kontaktdaten finden sie auf der Homepage der Stadt Reichenbach.
Das Krematorium
Ganz in der Nähe des Wasserturms befindet sich der Hauptfriedhof mit dem Krematorium aus dem Jahr 1930. Es ist der letzte Bau, den Ladewig in Reichenbach verwirklicht hat.
Aus Kostengründen wurde der vorhandene Bau aus dem Jahr 1876 teilweise integriert. Das Krematorium ist in seiner Formensprache an den Bauhausstil und die Neuen Sachlichkeit angelehnt.
So ist ein klarer, sachlicher Kubus entstanden, der eine große Ruhe verströmt. Aufgebrochen wird es nur durch die expressionistische schuppenartige Putzgestaltung und den zur Hauptachse gelegenen Eingangsbereich.
Er erinnert an einen Spitzbogen und ist mit dem grauen Putz farblich abgesetzt. Der zurückgesetzte Eingangsbereich lässt die Wand wie einen Vorhang erscheinen. Bemerkenswert ist auch die große Glasdecke im Inneren.
Über der Eingangstür findet sich auch hier eine von Johannes Göldel geschaffene Skulptur – eine nackte Mädchenfigur. Sie wurde von den Gegnern des Neubaus auch als „unchristlich“ bezeichnet. In Ladewigs Deutung hat sie das letzte irdische Gewand abgestreift.
Höhere Textilfachschule in Reichenbach
Auch hier gab es eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Ladewig und Göldel. Der Leipziger Bildhauer schuf 14 Bauplastiken, die die Jahreszeiten aber auch Gewerke und Handel rund ums das Textil darstellen.
Seit 1848 gab es in Reichenbach eine Webschule, die beständig angewachsen ist und schnell zur ersten Ausbildungsstätte für Textilberufe in Sachsen und Thüringen wurde. 1901 wurde sie in „Sächsische Höhere Fachschule für Textilindustrie“ und danach 1920 in „Höhere Textilfachschule“ umbenannt.
Nach mehreren Erweiterungsbauten geriet der alte Standort an seine Grenzen und man beschloss 1925 einen Neubau in der Klinkhardtstraße in Reichenbach. 1927 konnte der Bau, der ebenso im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtet wurde, eingeweiht werden.
An einen viergeschossigen Mittelbau gliedern sich Seitenflügel an, die weiteren Platz für Unterrichtsräume sowie Fabriksäle für praktischen Unterricht bieten. Dies war ein absolutes Novum in der textilen Ausbildung Deutschlands.
Der Bau der Hochschule schließt optisch an moderne Fabrikbauten an. Seine rote Putzfassade wird durch dreieckige Pfeiler gegliedert. Aufgelockert wird die strenge Fassade durch die schon erwähnten Figuren von Göldel.
St. Marien in Reichenbach
1927 wurde der erste Spatenstich für den Kirchenneubau der Marienkirche gelegt. Hierfür erweiterte Rudolf Ladewig den vorhandenen Kapellenraum aus dem Jahr 1877. Die Kirche wurde in Rekordzeit innerhalb nur eines halben Jahres errichtet.
Prägend für den Kirchenbau, der wie die anderen Bauten Ladewigs, im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtet wurde, sind der 32 m hohe Turm und der zur Straßenseite gewandte Stufengiebel. Ihn ziert eine Kreuzigungsgruppe, die Johannes Göldel aus Sandstein geschaffen hat.
Wohnbauten von Rudolf Ladewig in Reichenbach
Die Bauhaustradition von Architekt Rudolf Ladewig kann man in der Sternsiedlung in Reichenbach sehen.
Auf der Suche nach praktischen Lösungen für die Kleinstwohnungsfrage entstand ein Haustyp, der sich durch eine große Wirtschaftlichkeit auszeichnete. Die sternförmige Anordnung von jeweils sechs Eigenheimen reduzierte die Anschlusskosten für die Häuser erheblich.
Sein Entwurf wurde in den Jahren 1932/33 umgesetzt. Denn gerade nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise waren Kleinstwohnungen sehr gefragt. Ein weiterer Entwurf von Ladewig sind die in der Erich-Mühsam-Straße 1 / 3 sowie in der Lindenstraße 4 umgesetzten „Wohntürme“ aus dem Jahr 1931. Einer der Wohntürme war als Obdachlosenheim entstanden.
Weitere Wohnungsbauten befinden sich in der Schützen- und in der Bebelstraße in Reichenbach.
Neue Sachlichkeit in Reichenbach
Eine Stadt im Vogtland mit zahlreichen bis heute prägenden Bauten des Architekten Rudolf Ladewig.
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Architekt Rudolf Ladewig prägende Architekturzeugnisse der Neuen Sachlichkeit in den kleinen Stadt im Vogtland geschaffen hat.
Interessant dabei ist auch, dass die Stadt Reichenbach in der Anzeige zur Ausschreibung für den Stadtarchitekten auch genau diese Moderne gesucht hat. Man schrieb die Stelle für einen künstlerisch reifen und mit neuzeitlichen Bauformen vertrauten Architekten aus.
Und genau das fand man im Rudolf Ladewig, der sich besonders mit seinen Solitärbauten in Reichenbach verewigt hat.
Wo?
- Wasserturm – Ringstraße 18
- Krematorium – Hauptfriedhof an der Zwickauer Straße
- Höhere Textilfachschule – Klinkhardtstraße 30
- Marienkirche – Elisabethstraße 6
- Wohnbauten – Sternsiedlung, Erich-Mühsam-Str. 1 / 3, Lindenstraße 4, Schützenstraße und in der Bebelstraße
Interesse an Architektur? Alle Artikel über architektonische Sehenswürdigkeiten im Vogtland finden sie HIER. Darunter: Entdeckungen in Bad Elster, Das Untere Schloss in Greiz, Vogtland Arena – Sprungschanze in Klingenthal
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Einfach super – diese Bauwerke werde ich mir ansehen!
Vielen Dank für den Beitrag.
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