Verehrte Leser, hätten Sie gewusst, dass Gera die Stadt mit den meisten Bauten aus der Zeit der Bauhaus-Architektur, des Neuen Bauens und der Neuen Sachlichkeit in Thüringen ist? Für uns war es vollkommen neu. Im Gegenteil, wir haben gar keine Verbindung zwischen Bauhaus und Gera hergestellt. Aber es war ein schöner Anlass, auf einer Stadtführung einige der Häuser kennenzulernen und ganz nebenbei eine Menge über das Bauhaus und seinen umtriebigsten Vertreter in Gera, Thilo Schoder, zu erfahren.
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Inhaltsverzeichnis
Wer war Thilo Schoder?
Thilo Schoder wurde 1888 in Weimar geboren und studierte ab 1907 an der Kunstgewerbeschule Innenarchitektur. Sie war unter der Leitung von Henry van de Velde die Vorgängerinstitution des Bauhauses in Weimar. Nach einem Praktikum als Modezeichner bei Josef Hoffmann an den Wiener Werkstätten kehrte er 1912 wieder nach Weimar zurück und begann im Atelier von van der Velde als Meisterschüler zu arbeiten.
So kam das Bauhaus nach Gera
1916 ging er als künstlerischer Beirat zur Firma Golde nach Gera. Schon in dieser Zeit realisierte er moderne Bauten, die die industriellen Fabrikhallen mit künstlerischem Anspruch versahen. Der erste Weltkrieg unterbrach die Zeit in Gera. Aber direkt nach dem Krieg kehrte er hierher zurück und wurde zu dem bedeutendsten Vertreter des Neuen Bauen in Gera.
Schnell fand er seinen eigenen Stil, der geprägt war von dem Ansatz seines Lehrers van de Velde, das Bauen als Gesamtkunstwerk zu sehen. Insgesamt schuf er in Gera 53 Bauten, teilweise entwarf er dafür auch die Inneneinrichtung. Einige der Häuser sind heute noch existent und stehen unter Denkmalschutz. Davon sind viele in Privatbesitz, sodass sie nur von außen besichtigt werden können.
Im März 1932 schloss er sein Büro wegen einem, von den Nationalsozialisten wegen kritischen Äußerungen zu deren Politik verhängten, Aufenthaltsverbotes für Gera und dem daraus resultierenden Auftragsmangel. Er ging mit seiner zweiten Frau, einer Norwegerin in deren Heimatland und eröffnete in Kristiansand ein Architekturbüro. Aufgrund der politischen Verhältnisse nahm er die norwegische Staatsbürgerschaft an und lebte und arbeitete hier bis zu seinem Tod 1979.
Auf den Spuren des Bauhaus durch Gera
Haus Halpert
In Gera werden unterschiedliche Rundgänge, die sich thematisch dem Bauhaus nähern, angeboten. Ausgangspunkt unseres Rundganges war das Haus Halpert in der Kurt-Keicher-Straße.
Der Teppichfabrikant Georg Halpert lies es sich 1925/26 von Thilo Schoder bauen. Auch heute wird das Haus noch als Wohnhaus genutzt. Es ist ein klarer zweigeschossiger Klinkerbau, der an die frühen Bauten, die sogenannten Prairie Houses, von Frank Lloyd Wright erinnert. Nur die Dachgauben dürften Thilo Schoder nicht gefallen haben, aber sie entstanden auf Wunsch des Bauherren. Das Eckhaus ist umgeben von einer Gartenanlage und eine rote Klinkermauer schützt eine Seite des Hauses vor neugierigen Blicken.
Ein Klinikbau
Unser nächstes Ziel liegt nur wenige Meter entfernt: die Frauenklink Dr. Ernst Schaefer in der Gagarinstraße. Die 1929 entstandene Privatklinik ist der letzte reine Ziegelbau, den Schoder geschaffen hat.
Die schnörkellose Schlichtheit des Baus zeigt besonders eindrucksvoll, dass Schoder auf die Wirkung von Form und Material gesetzt hat. Einige der Klinker sind durch unterschiedliche Brenntemperaturen mit Mustern versehen und geben dem Bau eine eigene Struktur. Die schlichte Eleganz wird durch die großen Fenster im Aufgangsbereich noch unterstrichen.
Der funktionale Zweckbau war äußerst durchdacht. Um den Frauen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, waren die Zimmer entweder nach Osten oder Westen ausgerichtet.
Haus Sparmberg
Weiter ging es zum Wohnhaus Sparmberg in der Franz-Petrich-Straße. Wir stehen hier vor einem typischen kubischen Bauhaus-Bau mit Flachdach. Das Haus für den Ingenieur Rudiolf Spamberg ist das letzte von Schoder in Gera entworfene Haus aus den Jahren 1931/31.
Das Wohnhaus wurde 2016 umfassend saniert. Dabei wurde sehr viel Wert auf die Detailtreue gelegt. Sie sehen das Haus heute wieder so, wie es ursprünglich konzipiert wurde. Spätere Anbauten wurden entfernt. Vom hellgrauen Edelputz mit Glimmerzuschlag bis zu den farbigen Fensterschenkel ist alles wieder wie zu Schoders Zeiten. Beeindruckend ist am Haus die große, der Straßenseite zugewandte Treppenhausgestaltung komplett aus Glas.
Der Ulmenhof
Schoder entwarf aber nicht nur Häuser und Villen, sondern auch ganze Wohnanlagen. Deshalb ist das nächste Ziel des Rundganges die Wohnanlage Ulmenhof, die er 1930 für die Deutsche Wohnungsbaugesellschaft mbH Erfurt entwarf.
Die Anlage in Gera entstand in einer Zeit, in der man gerade in den Industriestädten auf der Suche nach preiswertem Wohnraum war. Schoder plant funktionale Wohnräume mit einem Blick ins Grüne. Die Wohnungen haben entweder einen großzügigen Balkon oder ein großes Oberlicht.
Das erste Hochhaus in Gera
Nach 1,5 Stunden war am Ulmenhof der eigentliche Endpunkt der Tour. Unsere gemeinsamer Rückweg führte und direkt in die Innenstadt zu einem weiteren Haus im Stil des Neuen Bauens – dem Handelshof in der Schloßstraße.
Das markante Gebäude kann man gar nicht verfehlen. Große Schriftzüge zeugen vom damaligen Bauherrn und heutigem Nutzer – der Sparkasse. Hans Brandt baute es in den Jahren 1928/29 als erstes Hochhaus von Gera. An das 10geschoßige 34 Meter hohe Haus schließt sich ein geschwungener Seitentrakt zur einen Seite und ein gerader Trakt zur anderen Seite an.
Bemerkenswert ist die Eckgestaltung, des Hochhaues, die mit schlichten Stilmitteln eine Auflockerung im strengen Bau erreicht. Das Handelshaus konnte nach nur 14 Monaten Bauzeit an den Bauherren übergeben werden, rechtzeitig zum 25jährigen Jubiläum der Stadtsparkasse Gera.
Gera – eine Entdeckung
Nun hat unsere Tour aber wirklich einen Endpunkt gefunden. Glücklich mit all den vielen neuen Eindrücken und dem neu erworbenen Wissen, gönnen wir uns eine kleine Pause im Köstritzer Bierhaus in der Schloßstraße.
Wir blättern durch unseren Flyer zum Neuen Bauen und planen schon neue Ausflüge nach Gera.
Auch wenn Gera vielleicht nicht die typische Touristenstadt ist, hat sie doch eine Menge zu bieten und es lohnt auf jeden Fall, mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen. Auch wir sind nicht das letzte Mal hier gewesen – es gibt noch zahlreiche Kleinode zu entdecken.
Literatur über Thilo Schoder*
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Was sie sonst noch alles in Gera entdecken können
- Haus Schulenburg am westlichen Rand von Gera wurde von Henry van de Velde erbaut, der mit seinem funktionalen Stil ein Brücke zwischen Jugendstil und Bauhaus geschlagen hat
- Wie viele andere Textilstädte hat es Gera zu großem Reichtum gebracht. Dies ist auch heute noch in den zahlreichen Villen in der Stadt sichtbar. Unternehmen Sie doch einen Villenrundgang
- Wer Ruhe sucht, ist im Küchengarten, dem Hofwiesenpark oder dem Dahlienpark gut aufgehoben.
- Otto Dix ist der großen Sohn der Stadt, dessen Werk man im Otto-Dix-Museum bewundern kann.
- Weitere Museen sind das Stadtmuseum, die Kunstsammlung in der Orangerie, das Museum für Naturkunde oder das Museum für angewandte Kunst.
- Besonders schön ist ein Spaziergang durch das Stadtviertel Gera Untermhaus an der weißen Elster. Am Turm des ehemaligen Schlosses hat man einen schönen Blick über die Stadt. Außerdem befinden sich hier die Marienkirche, die Orangerie und das Theater der Stadt.
- Und wenn Sie zur Weihnachtszeit kommen: Gera hat mit dem Märchenmarkt einen der schönsten Weihnachtsmärkte im Vogtland.
Eine weitere Stadt mit interessanten Bauten aus der Zeit des Neuen Bauens ist Reichenbach. Hier hat Rudolf Ladewig für die Stadt prägende Bauten hinterlassen. Den Artikel finden Sie HIER
Transparenzhinweis: Einen ganz lieben Dank an unsere Gästeführerin Frau Dölitzscher, die die Stadtführung so lebendig gemacht hat und unsere vielen Fragen geduldig beantwortete. An der Führung durften wir kostenfrei teilnehmen, daraus entstand keine Verpflichtung zu einem Beitrag. Unsere Meinung haben wir uns vollkommen frei gebildet.