Zahlreiche Villen zeugen vom einstigen Reichtum in Gera, der hauptsächlich der Textilindustrie zu verdanken ist. Eine der prächtigsten Villen ist das von Henry van de Velde für den Textilfabrikanten Paul Schulenburg entworfene Haus Schulenburg. Im Beitrag stellen wir es näher vor.
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Inhaltsverzeichnis
Zur Geschichte des Haus Schulenburg
Wie kam es, dass Henry van de Velde für den Bau der Villa in Gera verpflichtet wurde? Paul Schulenburg und Henry van der Velde kannten sich schon vor dem Bau der Villa.
Ihr erstes Treffen fand 1906 auf der Dresdner Kunstgewerbe-Ausstellung statt. Der neue Stil von van de Velde traf den Geschmack der Familie. Seinen Stil prägen die klaren funktionalistischen Formen, ganz anders, als man es bislang vom Jugendstil kannte. Direkt auf der Kunstausstellung erwarb die Familie ein Speisezimmer und zahlreiche weitere Ankäufe sollten folgen.
Auch in den späteren Jahren blieb Familie Schulenburg mit van de Velde verbunden. Als er 1917 ins Schweizer Exil musste, kauft Schulenburg ihm Werke zur finanziellen Unterstützung ab.
Das Haus Schulenburg
Familie Schulenburg war so begeistert von dem funktionalistischen Stil des großen Meisters, dass er den Auftrag zum Bau der repräsentativen Villa am Stadtrand von Gera bekam. Es sollte der letzte Privatauftrag werden, den van de Velde – zunächst bedingt durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs – annahm.
Er führte den Auftrag parallel zu seiner Tätigkeit an der Weimarer Kunstgewerbeschule, die er bis 1915 leitete, aus.
[Anm.: Henry van de Velde hatte diese Schule in Weimar 1908 gegründet, welche kriegsbedingt 1915 geschlossen wurde. Er verließ Weimar 1917 und berief 1919 aus dem Schweizer Exil Walter Gropius zu seinem Nachfolger, der im gleichen Jahr sodann die für die Moderne stehende Schule in Bauhaus umbenannte.]
Der repräsentative Klinkerbau wurde in den Jahren 1913/ 1914 errichtet. Die Fertigstellung erfolgte noch vor Beginn des ersten Weltkrieges.
Bei den Sanierungsarbeiten fand man ein Detail, aufgrund dessen eine genaue zeitliche Verortung möglich war – ein Fensterbauer ritzte in einen Rahmen, dass er im August 1914 in den Krieg zieht.
Ein wahres Gesamtkunstwerk von Henry van de Velde
Van de Velde entwarf nicht nur das großzügige Landhauus, er übernahm auch die Gestaltung der Inneneinrichtung. Möbel, Teppiche, Bezugsstoffe, textile Wandbespannung und sogar Geschirr entstammt seinen Entwürfen.
Er verfolgte mit seinem Entwurf ein stimmiges Gesamtkonzept und da war er sich auch nicht zu schade, passendes Besteck zu entwerfen. Alles sollte zusammen passen.
Es entstand ein typischer van de Velde-Bau unter Verwendung von Klinker, Sandstein und Schiefer. Das Haupthaus ist das höchste Gebäude, direkt daneben befindet sich das Nebengebäude mit überdachter Einfahrt. Hier war die Wohnung von Schulenburgs Fahrer und die Garage für seinen Maybach untergebracht.
Zusätzlich gab es auf dem weiträumigen Gelände einen Teepavillon sowie einen kleinen Spielpavillon. Das Gelände wird von einer Einfriedungsmauer aus Klinkersteinen gefasst.
Ein großzügiger Garten mit zahlreichen Gewächshäusern entsteht
1919/ 20 wurde der Garten am Haus großzügig erweitert. Der große Dahlien-Fan und Orchideen-Züchter Schulenburg lies eine weiträumige Gewächshausanlage mit Seerosenteich und Kaskadenbrunnen erbauen.
Den Entwurf von van de Velde setzte Thilo Schoder um, der zuvor in Weimar ein Meisterschüler van de Veldes war, in Wien ein Volontariat bei Josef Hoffmann im Umfeld der Wiener Werkstätten absolvierte und sodann nach Gera ging. Dort hinterließ er zahlreiche beeindruckende Bauten im Stil des Neuen Bauens bzw. des sog. Bauhaus, von denen auch heute noch einige stehen. Übrigens: Thilo Schoder bekam auch den Auftrag zur Erweiterung der Fabrik Schulenburg in Gera-Zwötzen.
Auf Paul Schulenburg geht übrigens auch die Eröffnung des Geraer Dahlienparks zurück.
Nach dem Tod von Paul Schulenburg 1937 gab es umfangreiche Änderungen am Haus, zwei Kinder wollten jeweils mit ihren Familien hier wohnen. Deshalb entstanden zwei separate Wohneinheiten.
Im Haus fiel den Umbauarbeiten die große Treppe zum Opfer, Gewächshäuser und Seerosenteich verschwanden im Außenbereich, da dieser Teil des Grundstückes verkauft wurde.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Familie Schulenburg enteignet. Man warf ihnen Kriegsbeteiligung aufgrund der Gewebeproduktion vor.
Ab 1951 wurde das Haus Teil der Medizinischen Fachschule Dr. Salvador Allende. Auch diese Nutzung geschah nicht ohne tiefgreifende Änderungen. Nach der Wende stand das Haus zunächst sechs Jahre lang leer.
Neues Leben im alten Haus
1996 kaufte die Arztfamilie Kielstein das Haus Schulenburg. Sie wollten auf dem Gelände eine Klinik für Suchtkranke errichten lassen. Die Stadt lies sich 10 Jahre bis zu einer Entscheidung über das Umbauvorhaben Zeit. Letztlich wurde es negativ beschieden.
Aber mittlerweile hatte Familie Kielstein ihr Herz schon an den schönen Bau verloren und zwischenzeitlich mit der Sanierung begonnen. Heute erstrahlt das Gesamtkunstwerk – diese Begrifflichkeit läßt sich vor Ort bestens studieren – wieder in altem Glanz.
Familie Kielstein beschäftige sich tiefgreifend mit Henry van de Velde und der Geschichte des Hauses. Sie studierten nicht nur die Baupläne sondern nahmen auch Kontakt zur Enkeltochter auf.
So kamen über Umwege wieder Originalmöbel ins Haus. Die Enkelin fand Teile der Möblierung im Internet, kaufte sie und übergab sie an die Kielsteins.
Grundsätzlich legt die Familie sehr viel Wert auf die originalgetreue Rekonstruktion des Hauses und des Gartens. So wurde unter anderem auch der Pagodenweg zum Teepavillon wieder mit der Originalbepflanzung versehen.
Originalgetreue Sanierung
Nicht nur außen, sondern gerade auch im Inneren des Hauses ist viel geschehen. Auch hier ist man bemüht, den Originalzustand wieder herzurichten. Die Villa wurde behutsam saniert und Veränderungen der vergangen Jahrzehnte wieder rückgängig gemacht.
Es wurde unter viel Aufwand die große Haupttreppe wieder hergerichtet, ebenso der Kamin und die beeindruckende Lichtkuppel, die mit mundgeblasenen Opalgläsern rekonstruiert wurde.
Die Innenräume haben wieder die originalen Wandverkleidungen (Holz, Stoff, Tapete) erhalten und sie wurden mit Henry van de Velde Möbeln ausgestattet, die entweder im Original erhalten waren oder ein authentischer Nachbau sind.
So fand man beispielsweise auch Korbmöbel von van de Velde aus dem Jahr 1906. Aber sie waren weiß überstrichen. Nachdem die Farbe entfernt wurde, erstrahlen sie nun wieder im Original.
Teilweise erinnert die Suche nach den Teilen aus dem alten Haus an eine Detektivarbeit. Das verschwundene Tor zur Einfahrt hatten die Kielsteins in einem Dorf bei Gera an einer Garage entdeckt.
Die neuen Eigentümer wollte sich erst nicht davon trennen, aber nun ziert auch das Tor wieder das ursprüngliche Anwesen.
Auf der Homepage des Museums erhalten Sie einen interessanten Einblick in die Sanierungsarbeiten am Haus Schulenburg mit Hilfe von Vorher-Nachher-Bildern. Sie geben einen kleinen Einblick in die unglaubliche Arbeit am Haus.
Das Museum Haus Schulenburg
Haus Schulenburg in Gera ist heute ein mit sehr viel Liebe geführtes Privatmuseum. Neben den Räumen, die das damalige Leben der Schulenburgs und das Schaffen van de Veldes anschaulich darstellen, gibt es im Wechsel thematisch passende Sonderausstellungen.
Das Museum Haus Schulenburg in Gera zeigt die zweitgrößte Sammlung von Büchern, die Henry van de Velde gestaltet hat. Außerdem besitzt das Museum zahlreiche Entwurfszeichnungen von Henry van de Velde.
In den Kellerräumen wurde einen Kleinkunstbühne eingerichtet. Sie bietet dem Kabarett „Wirsing“ aus Gera eine Heimstatt. Aber sie wird auch für zahlreiche Gastspiele genutzt.
Im Nebengebäude wurde ein kleines Café eingerichtet. An den Wänden hängen Fotos aus der Zeit Paul Schulenburgs und Plakate zeugen von vergangenen Ausstellungen. Hier kann man zahlreiche Publikationen rund um Henry van de Velde und das Haus Schulenburg erwerben, aber auch das wieder aufgelegte Teeservice von Henry van de Velde.
Fazit
Verpassen Sie auf keinen Fall dieses wunderbare Kleinod in Gera! Es ist ein mit soviel Liebe zum Detail saniertes Haus, das auf jeden Fall einen Besuch wert ist. Und es eröffnet einen beeindruckenden Blick auf eines der Gesamtkunstwerke von Henry van de Velde. Es ist eine wahre Perle der Architektur.
Sie finden das Haus Schulenburg in der Straße des Friedens 120. Die Villa ist sehr gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, aber es sind auch ausreichend Parkplätze vorhanden.
Literatur über Henry van de Velde*
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Was Gera noch zu bieten hat
Leider liegt Gera touristisch immer noch im Schatten der großen thüringischen Tourismus-Leuchttürme. Das geschieht vollkommen zu unrecht, wartet die Stadt doch mit zahlreichen Perlen auf, die darauf warten, neu entdeckt zu werden.
Hier eine kleine Auswahl:
- Gera ist die Stadt mit den meisten Bauten aus der Zeit des Bauhaus und des Neuen Bauens in Thüringen. Thilo Schoder und andere Bauhausarchitekten haben hier zahlreiche Häuser hinterlassen und viele davon sind erhalten und in einem guten Zustand. Mehr dazu finden Sie in diesem Beitrag.
- Wie viele andere Textilstädte hatte es Gera zu außergewöhnlich großem Reichtum gebracht. Dies ist auch heute noch an den zahlreichen Villen in der Stadt sichtbar. Unternehmen Sie doch Spaziergang entlang der zahlreichen Villen.
- Und wer Ruhe sucht, ist im Küchengarten, dem Hofwiesenpark oder dem Dahliengarten gut aufgehoben.
- Otto Dix ist der großen Sohn der Stadt, dessen Werk man im Otto-Dix-Museum bewundern kann. Außerdem bietet das Museum einen Einblick in das Leben von Otto Dix.
- Weitere Museen sind das Stadtmuseum, die Kunstsammlung in der Orangerie, das Museum für Naturkunde oder das Museum für angewandte Kunst.
- Besonders schön ist ein Spaziergang durch das Stadtviertel Gera Untermhaus an der weißen Elster. Am Turm des ehemaligen Schlosses hat man einen schönen Blick über die Stadt. Außerdem befinden sich hier die Marienkirche, die Orangerie und das Theater der Stadt.
- Und wenn Sie zur Weihnachtszeit kommen: Gera hat mit dem Märchenmarkt einen der schönsten Weihnachtsmärkte im Vogtland.
Wo?
- Die Villa befindet sich:
- in der Straße des Friedens 120, 07548 Gera
- Öffnungszeiten auf der Homepage des Museum
Transparenzhinweis: Wir durften die Führung durch das Haus Schulenburg kostenlos besuchen. Unser Dank dafür geht an die Gera-Information. Unsere Meinung hat das natürlich nicht beeinflusst.
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Wir haben die Stadt Gera in diesem Urlaub für uns entdeckt und sind ebenfalls der Meinung, dass sie zu unrecht im Schatten der touristisch beworbenen Städte liegt. Leider hatten wir für das Haus Schulenburg nicht mehr genügend Zeit, das wiederholen wir aber, zumal der Artikel uns darin noch mal bestärkt.
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Schön, dass Euch Gera auch gut gefallen hat. Da gibt es so manche schlummernde Perle zu entdecken. Das Haus Schulenburg ist aus unserer Sicht eine absolute Empfehlung, da fast kein anderes Haus den Übergang in die Moderne heute so wunderbar aufzeigt und man zugleich auch viel über die Vertreter dieses Übergangs erfährt: Henry van de Velde, der den Weg über den Jugendstil zum Funktionalismus einleitet und dem späteren Bauhaus in Weimar seine Heimat gibt und dann Thilo Schoder, einen der ersten großen Vertreter der formvollendeten Moderne, unmittelbar noch vor dem Bauhaus selbst.
Schöner Beitrag über das Haus Schulenburg und den Architekten Thilo Schoder. Das Haus ist ein Gesamtkunstwerk der Extraklasse, absolut sehenswert und stilecht restauriert.
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